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Virtuelles Segeln - Wilfried Erdmanns "Ein deutscher Segelsommer"

Virtuelles Segeln - auch Lesen von Segelliteratur genannt - ist in der Corona - Krise für mich der einzige Ausweg, den Ausblick darauf, dass unser erster Törn Ende April mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Wasser fallen wird, einigermaßen zu ertragen. Also habe ich mir Erdmanns "deutschen Segelsommer" vorgenommen, nachdem mir meine Frau dieses Buch zu Weihnachten geschenkt hatte.


Wilfried Erdmann - die Segellegende schlechthin. Der erste Deutsche, der nonstop einhand um die Welt gesegelt ist. Mein lieber Segelfreund Ralf hatte mich auf Erdmann aufmerksam gemacht, weil wir - wenn ich mich richtig erinnere - in irgendeinem Hafen an der "Gatsby" vorbeiliefen und Ralf anregte, auf der "Gatsby" doch auch mal mitzufahren. Ich wusste nicht, weshalb das so ein bekanntes Schiff ist und da berichtete er mir von dem Buch "Ein unmöglicher Törn" von Wilfried Erdmann, der mit einem "Haufen" von Nichtseglern in den Achtzigern zwei Atlantiküberquerungen überstanden hatte - auf einer Leserreise für den "Stern". Ralf lieh mir das Buch und ich war vom Erdmann - Virus infiziert. Seitdem habe ich "Allein gegen den Wind", "Kathena und mein Logbuch nach Norden", "Seglerjahre" und zuletzt "Ich greife den Wind" gelesen. Man könnte sagen, dass ich ein Erdmann - Fan bin. Aber da bin ich sicher nicht der Einzige. Und nun der "deutsche Segelsommer".



Um es vorweg zu nehmen: Das Buch gefällt - allerdings auf eine gänzlich andere Art und Weise, als die Abenteuer in der rauhen Natur des Atlantiks oder der "Roaring 50ties", die Erdmann in seinen vorherigen Geschichten so fesselnd beschreibt. Hier geht es um deutsche Landen, vermischt mit Lokalkolorit vieler Segeldestinationen in der ehemaligen DDR. Dabei kommt auch ein wenig Ostalgie durch, nicht von Erdmann selbst, vielmehr von den Menschen, die Erdmann auf seiner Reise trifft.


Charmant beginnt die Segellegende die Geschichte seines Törns damit, dass er mit einem Augenzwinkern berichtet, wie er gleich zu Beginn beim Ablegen eine kleine Havarie verursacht - das kommt also in den besten Familien vor. Der Törn startet an den Plätzen, die ich gerade im letzten Herbst besucht habe: Über die Schleimünde und Maasholm rüber nach Bagenkop auf Langelland. Respekt, dass Erdmann diesen Schlag mit einer Jolle gemacht hat. Die Beschreibung Bagenkops ist nicht ganz so falsch, ein eher tristes Dorf, allerdings gab es damals wohl noch nicht das leckere Fischbuffett in dem einzigen Restaurant des Ortes, das am Donnerstag einer jeden Woche das Highlight der Region zu sein scheint,


Erdmanns Törn geht danach unterhalb Lollands nach Rödbyhavn, wo ich noch nicht gewesen bin, aber nach der Beschreibung von Erdmann auch nicht zwingend hin muss. Was dann kommt, habe ich in den letzten Jahren vom Wasser aus in mehreren Törns bereist und kann mich daher herrlich in die Beschreibungen des Autors hineinfühlen - Wismar, Pöhl, Kühlungsborn bis nach Barhöft und Barth am Bodden. Für diejenigen, die diesen Bereich der Ostsee noch nicht besegelt haben, kann ich nur sagen, dass es sich lohnt, insbesondere auf dem Bodden und im Strelasund unterwegs zu sein. Auch Erdmann geht das offenbar so. Er beschreibt liebevoll das Revier, die Yachthäfen und -clubs am Bodden, bis nach Stralsund und wieder zurück bis Hiddensee. Eine wunderbare Landschaft dort - seglerisch aus meiner Sicht nicht so einfach, weil man mit einer Yacht eigentlich zu jeder Zeit Grundberührung vermeiden muss. Aber das Problem hatte Erdmann mit seiner Jolle nicht.


Auch der Abschnitt von Hiddensee bis nach Lohme und runter in den Greifswalder Bodden ist von Erdmann wunderbar beschrieben. Hier sei insbesondere die Greifswalder Oie hervorgehoben - wenn man diese Insel vor Rügen anlaufen kann, sollte man das nach Erdmann Erzählungen unbedingt tun. Als wir im vergangenen Jahr in diesem Winkel der Ostsee unterwegs waren, konnten wir das nicht - aus Zeitgründen.


Nach Greifswald und Wolgast schließt sich bald die Peene als Segelrevier an. Jetzt heißt es für Erdmann mehrfach Mast legen - die Peene habe ich wiederum bisher nicht mit dem Segelboot erkundet und werde das wohl auch nicht mehr tun. Aber ich war vor einigen Jahren mit meiner jüngeren Tochter auf der Peene mit einem Kanu unterwegs. Und das kann ich nur jedem empfehlen. Die Peene wird nicht umsonst auch der "deutsche Amazonas" genannt - wir haben dort sogar einen Seeadler gesehen. Nur noch etwa 60 Seeadler-Paare lebten in den Sechzigern in Deutschland. Seither hat sich die Zahl mehr als verzehnfacht. Die meisten Exemplare leben im Nordosten der Republik und insbesondere an der Peene.


Zurück zu Erdmann: Den Bereich der Oder, den er nach der Peene besegelt hat, lockt mich nicht wirklich. Einzig der von ihm beschriebene Finow - Kanal würde mich tatsächlich einmal interessieren. Aber mit dem Boot dorthin bietet sich von Hamburg aus nicht wirklich an.


Erdmann segelt weiter über die Müritz auf den Schweriner See und auf die Elbe - da lacht mir das Herz. Ich finde, man muss mindestens einmal als Wassersportler von "oben" kommend unter den Norderelbbrücken durchgefahren sein - sonst fehlt irgendwie etwas. Es ist schon ein besonderes Gefühl, von Norden die Elbbrücken zu passieren und sich von dort auf dem Wasser der Freien und Hansestadt Hamburg zu nähern!



Aber: Erdmann ist vorher schon rechts abgebogen. Eigentlich schade, dennoch verständlich, denn sonst hätte er durch den NOK zurückgemusst. Mit einer Jolle. Ich weiß gar nicht, ob das geht. Unsere Segellegende nutzte vielmehr den Elbe - Lübeck - Kanal. Besonders beeindruckt hat mich auf diesem Abschnitt die Geschichte von Erdmanns Vetter Helmut, von dem Wilfried Erdmann erzählte, als er Büchen erreicht. Sein Vetter war wie Wilfried Erdmann zu einer Weltumsegelung aufgebrochen - und gilt seitdem mit seiner Yacht "Spökenkieker" als verschollen.


Der Törn geht über Travemünde, Grömitz, Orth auf Fehmarn und Laboe bis zur Scheimünde zurück, wo der "deutsche Segelsommer" sein Ende nimmt. Die letzten Seiten konnten mich zwar nicht mehr so sehr fesseln, aber dennoch: Das Buch war eine schöne Ablenkung in dieser segelfreien Corona - Zeit. Für diejenigen, die Erdmanns größte Coups schon kennen, ist es sicher ohne weiteres zu empfehlen. Diejenigen, die noch nicht Erdmanns Weltumseglungsbücher gelesen haben, sollten damit erst einmal beginnen, bevor sie den "deutschen Segelsommer" virtuell mitsegeln.

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